Neuigkeiten zu den Leitlinien der AGO Mamma 2021
Fokus onkoplastische und rekonstruktive Mammachirurgie
Onkoplastische Mammachirurgie
Die AGO Mamma hat in der aktuellen Version zum ersten Mal die bereits existierenden Klassifikationen von Hoffmann und Mitarbeitern sowie von Clough und Mitarbeitern implementiert, die im klinischen Alltag für die Eingruppierung der jeweils durchgeführten onkoplastischen Operation hilfreich sind, nicht zuletzt, um den zeitlichen Aufwand im DRG-System besser abbilden zu können (Hoffmann, 2009; Clough, 2010).
Implantatrekonstruktion und Strahlentherapie
Im Vergleich mit den Therapieempfehlungen der AGO Mamma aus 2020 hat sich in diesem Jahr nichts Grundlegendes geändert. Wie dem Algorithmus der AGO Mamma zu entnehmen ist, stellt die Radiotherapie der Thoraxwand nach MastektomieEntfernung der Brustdrüsengewebes. nach wie vor die größte Einflussgröße dar, wenn es um die Art der Rekonstruktion geht. So wird bei Indikation zur Radiotherapie einer autologen und bei fehlender Indikation zur Radiotherapie der Implantatrekonstruktion (LoE2a/B/AGO ++) der Vorzug gegeben. Die Gründe für diese Empfehlungen sind eine hohe Komplikationsrate (Kapselkontraktur, Revisionsoperationen, Versagen der Rekonstruktion, reduzierte Kosmetik) und eine geringere Patientinnenzufriedenheit (Jagsi, 2018, Pu, 2018, Batenburg, 2020), wenn eine Implantatrekonstruktion nach oder vor geplanter Radiotherapie vorgenommen wird. Ausnahmen sind Kontraindikationen gegen die jeweilige Rekonstruktionsart. Wird eine Implantarekonstruktion trotz geplanter Radiotherapie durchgeführt, dann sollte die Implantrekonstruktion besser vor (LoE2a/B/AGO +) als nach der Radiotherapie (LoE2b/B/AGO +/-) erfolgen. Die Implantatsofortrekonstruktion (direct-to-implant) hat dabei im Vergleich mit einer 2-Stage-Expander-Implantatrekonstruktion eine geringere Komplikationsrate und sollte daher bevorzugt werden (Naoum, 2019).
Implantatrekonstruktion mit Netz/ADM
Eine Implantatrekonstruktion kann auf verschiedene Art und Weise vorgenommen werden und richtet sich nach der jeweiligen Brustgröße, der Haut- und Fettmantelbeschaffenheit sowie dem Wunsch der Patientin. Wurden die Implantate vor etwa fünf Jahren noch überwiegend subpectoral positioniert, so wird der subcutanen Platzierung mittlerweile der Vorzug gegeben. Aufgrund inkonsistenter Daten und einem Mangel an prospektiv-randomisierten Studien sieht die AGO Mamma die subcutane der subpectoralen Implantatlage allerdings nicht als überlegen an (LoE 3b/C/AGO +/-) und überlässt es der Brustchirurgin/dem Brustchirurgen, die Implantatlage individuell mit der jeweiligen Patientin zu besprechen. Vielleicht bringt die aktuell laufende PREPEC-Studie, in der zwischen einer subcutanen vs. einer subpectoralen Implantatlage randomisiert wird, Licht in das Datendunkel.
Für die Verwendung eines Netzes oder einer azellulären dermalen Matrix (ADM) bei der Implantatrekonstruktion wurden die Empfehlungen der AGO Mamma hinsichtlich der Lebensqualität und der Komplikationsrate neu strukturiert. So bewertet die AGO Mamma die Verwendung einer ADM bei der subcutanen (LoE 2b/B/AGO +/-) oder subpectoralen Implantatrekonstruktion (LoE 1b/A/AGO +/-) ähnlich. Zwar liegt für die subpectorale Implantatrekonstruktion die größte Datenlage vor, dennoch kann kein wirklicher Vorteil für die eine wie für die andere Methode belegt werden. Für die Verwendung eines Netzes wird zwar ähnlich der ADM auch kein Unterschied hinsichtlich der Lage gesehen, allerdings fällt die Bewertung aufgrund der geringeren Komplikationsrate für die Verwendung eines Netzes besser aus (jeweils LoE 2b/B/AGO +). So zeigen die in den letzten Jahren publizierten Daten zur Verwendung einer ADM vs. nil eine höhere Rate an Wunddehiszenzen (Kumar, 2020), Wundinfektionen und Implantatverlusten (Wagner, 2019) und darüber hinaus keine Verbesserung des Patient-Reported-Outcomes (PRO) (Kumar, 2020). Viele der Daten sind retrospektiv und eine prospektiv randomisierende Studie, die den Gebrauch von ADMs vs. Netzen vergleicht, existiert noch nicht. Dennoch zeigen systematische Reviews bei Verwendung von Netzen ein günstigeres Komplikationsprofil als bei ADMs (Wagner, 2019; Salibiab, 2016; Hansson, 2020). Hinsichtlich der PRO-Daten kann festgehalten werden, dass eine Radiotherapie die Zufriedenheit definitiv negativ beeinflusst und das PRO von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird (Thill, 2020).
Prävention und Therapie der Kapselfibrose
In diesem Jahr hat sich die AGO Mamma zum ersten Mal zur Prävention und Therapie der KapselfibroseAls Kapselfibrose wird eine harte, bindegewebige Verdickung bezeichnet, die sich nach einsetzen eines Brustimplantates um das Implantat bilden kann. geäußert und die vorhandene Datenlage dazu bewertet. Die Inzidenz einer Kapselfibrose nach Mammaaugmentation liegt etwa bei 2-8 %, bei einer Mammarekonstruktion bei etwa 12 % nach einem Jahr, bei 30 % nach fünf Jahren und nach einer Radiotherapie bei > 40 % (Cabalag, 2015; Lardi, 2016).
Bekannt war, dass sich texturierte Implantate günstig auf das Entstehen einer Kapselfibrose auswirken (Liu, 2015). Welchen Einfluss hat aber die Verwendung einer ADM oder eines Netzes im Vergleich zu einem alleinigen Implantat auf die Kapselfibroserate? Die AGO Mamma konstatiert, dass sowohl ADMs als auch Netze die Kapselfibroserate im Vergleich zu einem alleinigen Implantat reduzieren. Die Datenlage zu den ADMs ist zwar größer, allerdings bestehen keine substantiellen Unterschiede, ob eine ADM (LoE 2a/B/AGO +) (Hallberg, 2018; Wagner, 2019; Lee, 2016; Masia, 2020) oder ein Netz verwendet wird (LoE 3a/C/AGO +) (Dieterich, 2015; Hallberg, 2018, Casella, 2019).
Auch wenn die Datenlage durch retrospektive und Fall-Kohorten-Studien geprägt ist, scheint die lokale intraoperative Spülung mit Antibiotika/Antiseptika, neben einer signifikanten Senkung der postoperativen Entzündungen, die Kapselfibroserate zu senken (Frois, 2018; Samargandi, 2018). Entsprechend bewertet die AGO Mamma mit LoE 2a/B/AGO +. Auch für die Verwendung von PVP (Povidone-Iodine) scheint sich die Datenlage wieder zu verbessern, wie unlängst eine Metaanalyse zeigte (Yalanis, 2015; Lynch, 2018), LoE 2a/B/AGO +/-. Keinen Stellenwert trotz vielversprechender Daten haben die aus der Behandlung des Asthmas bekannten Leukotrienantagonisten. Die aktuelle, jedoch limitierte Datenlage attestiert diesem Therapieansatz eine Senkung der Kapselfibrose um bis zu 50% (Bresnick, 2017; Wang, 2020). Aufgrund der fehlenden Daten zu späten Nebenwirkungen kann jedoch keine generelle Thereapieempfehlung gegeben werden (LoE 2a/B/AGO +/-). Hier müssen definitiv weitere Studien abgewartet werden. Schließlich bezieht die AGO Mamma auch Position zum Nutzen einer Brustmassage. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse konnte keinen Vorteil für die Senkung der Kapselfibroserate durch eine Brustmassage zeigen (Sood, 2017), so dass auch neuere Analysen keine Indikation für eine Brustmassage belegen können (LoE 3a/C/AGO -). Das Problem ist die sehr limitierte Datenlage und die vielen verschiedenen und nicht vergleichbaren Techniken.
Zur Therapie der Kapselfibrose gibt es außer einigen experimentellen Ansätzen nichts Neues. Die Therapie der Kapselfibrose besteht nach wie vor aus einer chirurgischen Intervention: entweder als komplette Kapsulektomie oder als Kapsulotomie (Young, 1998; Sanger, 1998), wobei bei letzterer das Brustimplantat-assoziierte anaplastische großzellige Lymphom (BIA-ALCL) im Hinterkopf zu behalten ist und die Patientin darüber aufgeklärt werden muss.
Zusammenfassung
Die Implantatrekonstruktion ist nach wie vor die im Vergleich zur autologen Rekonstruktion die am häufigsten durchgeführte Technik. Netze und ADMs haben sich mittlerweile fest etabliert und helfen bei der Implantatrekonstruktion: sowohl bei der subcutanen als auch der subpectoralen Implantatplatzierung. Sie sollten wie jede rekonstruktive Technik im Konsens mit der Patientin eingesetzt werden. Eine ausführliche Aufklärung über die jeweiligen Risiken und Nebenwirkungen ist dabei mandatorisch, da die Komplikationsrate von ADM vs. nil und ADM vs. Netz höher zu sein scheint, vor allem bei adipösen Patientinnen. Die Kapselfibroserate scheint durch die Verwendung von Netz oder ADM niedriger. Allerdings ist die prospektive Datenlage limitiert und prospektiv-randomisierte Head-to-Head-Vergleichsstudien Netz vs. ADM fehlen. Bei geplanter oder bereits durchgeführter Radiotherapie sollte der autologen Rekonstruktion der Vorzug gegeben werden, falls jedoch trotz Radiotherapie eine Implantatrekonstruktion durchgeführt werden soll, dann sollte die Rekonstruktion vor Radiotherapie und als Direct-to-Implant- und nicht als 2-Stage-Rekonstruktion vorgenommen werden.
Referenzen
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Stand: September 2021
Autor

Professor Dr. Marc Thill
Klinik für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie, AGAPLESION MARKUS KRANKENHAUS
Frankfurt am Main
